„Er wollte doch nur seine Hausaufgaben machen und eine Stunde später sitzt er immer noch da und sortiert seine Stifte.“
Solche Situationen kennen viele Eltern und Fachpersonen, die Kinder im Spektrum begleiten. Oft liegt die Ursache nicht an fehlender Motivation, sondern an einer besonderen Herausforderung: den sogenannten exekutiven Funktionen.
Was sind exekutive Funktionen?
Exekutive Funktionen sind eine Reihe wichtiger geistiger Fähigkeiten, die uns helfen, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen.
Man kann sie in vier Bereiche unterteilen:
Gehirnflüssigkeit (Brain Fluency)
- Arbeitsgedächtnis: Informationen im Kopf behalten und sinnvoll nutzen.
- Verarbeitungsgeschwindigkeit: Aufmerksamkeit gezielt lenken und schnell auf Informationen reagieren.
Gehirnorganisation (Brain Organization)
- Planung: Ziele setzen und einen Weg dorthin finden.
- Priorisieren: Wichtige Aufgaben erkennen und richtig ordnen.
Gehirnflexibilität (Brain Flexibility)
- Perspektivwechsel: Blickwinkel ändern und neue Herangehensweisen ausprobieren.
- Aufmerksamkeit wechseln: Schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herschalten.
Gehirnkontrolle (Brain Control)
- Selbstüberwachung: Das eigene Verhalten einschätzen und anpassen.
- Selbstregulation: Gefühle und Handlungen so steuern, dass sie zur Situation passen.
Die 5 Kernbereiche im Alltag fördern
1. Flexibilität: Kinder im Spektrum reagieren oft empfindlich auf Veränderungen. Flexibilität heisst, Pläne anpassen zu können und Neues gelassen zu akzeptieren.
Alltagsbeispiele:
- Ein geplanter Ausflug fällt wegen Regen aus und das Kind kann sich trotzdem auf etwas anderes freuen.
- Eine Vertretungslehrerin kommt, das Kind stellt sich auf die neue Situation ein.
Unterstützungsideen:
- Vorab Bilder von neuen Orten zeigen oder den Klassenraum gemeinsam anschauen.
- Schritt-für-Schritt-Anleitungen und visuelle Routinen nutzen.
- Social Stories erzählen, die typische Probleme und Lösungen beschreiben.
- Spiele mit Regeländerungen (z.B. UNO mit neuen Regeln) spielen.
- Flexibles Verhalten gezielt loben („Super, dass du den Plan so toll geändert hast!“).
2. Selbstregulation: Hier geht es darum, Gefühle so zu steuern, dass sie zur Situation passen.
Alltagsbeispiele:
- Nach einem Streit wieder ruhig werden.
- Nicht frustriert aufgeben, wenn ein Spiel verloren wird.
Unterstützungsideen:
- Gemeinsam Körpersignale von Stress oder Wut erkennen.
- Ruhe-Ecken oder Hilfsmittel wie Knautschbälle bereitstellen.
- Gefühle benennen und darüber sprechen.
- Herausfordernde Situationen vorher besprechen und Strategien planen.
- Erwachsene als ruhige Vorbilder agieren und positive Gedanken laut aussprechen.
3. Impulskontrolle: Impulskontrolle heisst, innezuhalten und erst dann zu handeln oder zu sprechen.
Alltagsbeispiele:
- In der Gruppe geduldig warten, bis man an der Reihe ist.
- Nicht sofort etwas nehmen, wenn man es möchte.
Unterstützungsideen:
- Kinder fragen: „Was wolltest du gerade machen?“ und Alternativen anbieten.
- Spiele wie „Rotes Licht – Grünes Licht“ oder „Simon sagt“ zur Übung spielen.
- Klare, konkrete Regeln formulieren („Warte, bis du dran bist“ statt „Sei brav“).
- Geduld belohnen, z.B. mit Token-Systemen.
4. Planen und Organisieren: Planen heisst, ein Ziel festzulegen und die notwendigen Schritte zu überlegen. Organisieren heisst, Materialien und Aufgaben gut im Blick zu haben.
Alltagsbeispiele:
- Hausaufgaben rechtzeitig und vollständig erledigen.
- Sporttasche mit allen notwendigen Sachen packen.
Unterstützungsideen:
- Gemeinsame Pläne erstellen und Schritt für Schritt festhalten.
- Materialien farblich markieren oder mit Symbolen versehen.
- „Erst – Dann“ Abläufe nutzen (z. B. erst Hausaufgabe, dann Freizeit).
- Planung spielerisch üben, z. B. mit Puzzles oder Kochrezepten.
5. Problemlösen: Problemlösen bedeutet, Schwierigkeiten zu erkennen, Lösungen zu finden und auszuprobieren.
Alltagsbeispiele:
- Eine Lösung finden, wenn ein Spielzeug kaputtgeht.
- Ersatzstrategie entwickeln, wenn das Arbeitsblatt fehlt.
Unterstützungsideen:
- Schritt-für-Schritt durch das Problem gehen: Problem erkennen, Lösungen sammeln, Vor- und Nachteile überlegen, ausprobieren, Ergebnis bewerten.
- Grösse des Problems einschätzen („Passt meine Reaktion zum Problem?“).
- Rollenspiele machen, um typische Situationen zu üben.
- Plan A und Plan B überlegen, falls der erste Versuch nicht klappt.
Messbar und sichtbar Erfolge feiern
Um Fortschritte gut verfolgen zu können, helfen klare und positiv formulierte Ziele. So können alle Beteiligten Erfolge erkennen und feiern, was das Selbstvertrauen der Kinder stärkt.
Beispiele für positive, gut beobachtbare Ziele:
- „Das Kind reagiert gelassen und flexibel auf eine Planänderung.“
- „Das Kind nennt mindestens zwei Lösungswege bei einer Herausforderung.“
- „Das Kind nutzt selbstständig einen 3-Schritte-Plan für eine Aufgabe.“
Dabei ist es wichtig, Hilfestellungen Schritt für Schritt zu reduzieren, damit das Kind immer selbstständiger wird.
Fazit
Exekutive Funktionen sind wie das Steuerrad im Gehirn. Sie bestimmen, wie wir handeln, denken und reagieren. Gerade Kinder im Spektrum brauchen oft gezielte Unterstützung, um diese Fähigkeiten zu stärken.
Quellen
Schwartz, S. (2025). Executive Function: A 5 Point Plan [PowerPoint-Präsentation]. CitePro. https://www.citepro.com/courses/take/flipp/downloads/32062528-slide-deck-download